mei 20, 2024

Entgegen der Annahme, man müsse primär Mitarbeiter in Resilienz schulen, liegt der Schlüssel zur Burnout-Prävention in der systemischen Veränderung der Arbeitsbedingungen.

  • Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (GBU Psyche) ist nicht nur eine gesetzliche Pflicht, sondern das wirksamste strategische Instrument.
  • Verhältnisprävention (Änderung der Arbeitsorganisation) ist laut Experten für 70% des Erfolgs verantwortlich, Verhaltensprävention (individuelle Trainings) nur für 30%.
  • Jeder in Prävention investierte Euro kann bis zu vier Euro an Krankheitskosten einsparen und die Fluktuation senken.

Empfehlung: Nutzen Sie die gesetzlich vorgeschriebene GBU Psyche proaktiv als Fahrplan zur Optimierung von Führung, Arbeitsabläufen und Teamkultur, anstatt die Verantwortung für psychische Gesundheit auf die Mitarbeitenden abzuwälzen.

Die steigenden Zahlen psychisch bedingter Fehltage sind für viele Unternehmen in Deutschland eine alarmierende Realität. Burnout ist längst kein individuelles Schicksal mehr, sondern ein teures unternehmerisches Problem. Viele Führungskräfte und Personalabteilungen reagieren darauf mit gut gemeinten, aber oft oberflächlichen Maßnahmen: Obstkörbe, Achtsamkeits-Apps oder einmalige Resilienz-Workshops. Diese Ansätze kratzen jedoch nur an der Oberfläche eines tiefgreifenden systemischen Problems und verfehlen oft ihr Ziel.

Die landläufige Meinung ist, dass gestresste Mitarbeiter einfach lernen müssen, besser mit Druck umzugehen. Doch was, wenn der Druck selbst das Problem ist? Was, wenn die wahre Ursache nicht in der mangelnden Belastbarkeit des Einzelnen, sondern in der Gestaltung der Arbeit, der Führungskultur und den organisatorischen Prozessen liegt? Genau hier setzt ein Paradigmenwechsel an, der in Deutschland durch das Arbeitsschutzgesetz bereits rechtlich verankert ist, aber noch zu selten strategisch genutzt wird.

Dieser Artikel bricht mit dem Mythos der alleinigen Mitarbeiterverantwortung. Wir zeigen Ihnen, warum der Fokus auf die Veränderung von Arbeitsbedingungen – die sogenannte Verhältnisprävention – der entscheidende Hebel ist. Statt Symptome zu kurieren, werden Sie lernen, die Ursachen von Burnout an der Wurzel zu packen. Wir führen Sie durch den Prozess, von der betriebswirtschaftlichen Begründung über die korrekte Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (GBU Psyche) bis hin zu einem konkreten 10-Punkte-Plan, mit dem Sie die psychische Gesundheit in Ihrem Unternehmen systematisch fördern und die Burnout-Rate signifikant senken können.

Die folgenden Abschnitte bieten Ihnen einen strukturierten Leitfaden, um ein nachhaltiges Präventionssystem in Ihrem Unternehmen zu etablieren. Jeder Schritt baut auf dem vorherigen auf und liefert Ihnen das notwendige Wissen und die Werkzeuge, um von der reaktiven Problembehandlung zu einer proaktiven, gesundheitsfördernden Organisationskultur zu gelangen.

Warum jeder in Prävention investierte Euro 4 Euro an Krankheitskosten spart: Der Business Case

Burnout-Prävention wird oft als „weicher Faktor“ oder reiner Kostenpunkt missverstanden. Doch die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Investitionen in die psychische Gesundheit der Belegschaft sind eine der rentabelsten unternehmerischen Entscheidungen. Die direkten und indirekten Kosten, die durch psychische Belastungen und daraus resultierende Erkrankungen entstehen, übersteigen die Ausgaben für präventive Maßnahmen um ein Vielfaches. Direkte Kosten umfassen Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und Kosten für die Wiedereingliederung. Indirekte Kosten sind oft noch höher und umfassen Produktivitätsverluste, sinkende Arbeitsqualität, Kosten für die Einarbeitung von Vertretungskräften und eine erhöhte Fluktuation.

Die Dringlichkeit wird durch aktuelle Daten untermauert. Allein durch psychische Erkrankungen entstanden 184 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 AOK-Mitglieder im Jahr 2024, was die enorme wirtschaftliche Belastung für Unternehmen in Deutschland verdeutlicht. Diese Fehltage sind oft überdurchschnittlich lang und führen zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf. Prävention setzt genau hier an: Sie zielt darauf ab, Belastungsfaktoren zu reduzieren, bevor sie zu manifesten Erkrankungen führen.

Der sogenannte „Return on Prevention“ (RoP) ist beeindruckend. Internationale Studien belegen, dass jeder in die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz investierte Euro eine Rendite von bis zu vier Euro durch reduzierte Fehlzeiten und gesteigerte Produktivität generiert. Ein gesundes Arbeitsumfeld führt nicht nur zu weniger Ausfällen, sondern auch zu höherem Engagement, stärkerer Mitarbeiterbindung und einer attraktiveren Arbeitgebermarke. Somit ist Prävention keine reine Schadensbegrenzung, sondern ein strategischer Hebel für nachhaltigen Unternehmenserfolg.

Wie Sie die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung korrekt umsetzen

Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (GBU Psyche) ist seit 2013 eine explizite Pflicht für alle Arbeitgeber in Deutschland, verankert im Arbeitsschutzgesetz (§ 5 ArbSchG). Viele Unternehmen betrachten sie jedoch als bürokratische Hürde statt als das, was sie wirklich ist: ein mächtiges strategisches Instrument zur Organisationsentwicklung. Eine korrekt durchgeführte GBU Psyche identifiziert systematisch Stressoren im Arbeitsumfeld – von der Arbeitsorganisation über das Sozialklima bis hin zum Führungsverhalten – und legt die Basis für gezielte Verbesserungsmaßnahmen.

Die erfolgreiche Umsetzung erfordert einen partizipativen Prozess. Der Betriebs- oder Personalrat hat hierbei ein Mitbestimmungsrecht und sollte von Anfang an als konstruktiver Partner einbezogen werden. Eine offene und vertrauensvolle Kommunikation ist der Schlüssel, um die Akzeptanz der Belegschaft zu gewinnen. Die Analysephase kann durch standardisierte Fragebögen, moderierte Workshops (Gesundheitszirkel) oder Beobachtungsinterviews erfolgen. Wichtig ist, nicht nur Probleme zu sammeln, sondern gemeinsam im Team konkrete und umsetzbare Lösungsmaßnahmen zu entwickeln.

Betriebsrat und Management in konstruktivem Dialog über psychische Gefährdungsbeurteilung

Wie der Berufsverband Haufe hervorhebt, ist das Engagement der Arbeitnehmervertretung entscheidend für den Erfolg, insbesondere bei geringer Kontrolldichte durch die Behörden. Der Betriebsrat agiert als wichtiger Motor für einen gelebten Arbeitsschutz.

Betriebsräte müssen nicht nur aus rechtlichen Gründen für den Arbeitsschutz in ihren Unternehmen eintreten. Wenn die Unternehmen statistisch gesehen nur alle 25 Jahre kontrolliert werden, dann ist das Engagement der Betriebs- und Personalräte für die Umsetzung und Modernisierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes mindestens genauso wichtig wie die bloße rechtliche Funktionserfüllung.

– Haufe Arbeitsschutz Office Professional, Betriebsrat und Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen

Ihr Plan zur Umsetzung der GBU Psyche: Ein Zeit- und Ressourcenüberblick

  1. Vorbereitung: Planen Sie für die Abstimmung mit HR, Betriebsrat und Fachkräften für Arbeitssicherheit etwa 12–20 Stunden ein.
  2. Datenerhebung: Kalkulieren Sie für Befragungen und Workshops je nach Methode 2–4 Stunden pro teilnehmender Person.
  3. Analyse: Reservieren Sie für die Auswertung der Ergebnisse und die Diskussion im Steuerungskreis mindestens 40 Stunden.
  4. Maßnahmenentwicklung: Führen Sie zwei Workshops zur Entwicklung konkreter Maßnahmen durch (ca. 14–16 Stunden).
  5. Implementierung & Kommunikation: Planen Sie für die Kommunikation der Ergebnisse und das Follow-up der Maßnahmen ca. 10 Stunden ein.

Arbeitsbedingungen ändern vs. Mitarbeiter trainieren: Was Burnout wirklich verhindert

In der Debatte um Burnout-Prävention stehen sich zwei grundlegende Ansätze gegenüber: die Verhältnisprävention und die Verhaltensprävention. Das Verständnis dieses Unterschieds ist entscheidend für die Entwicklung einer wirksamen Strategie. Verhaltensprävention zielt auf das Individuum ab. Hier geht es darum, die persönlichen Kompetenzen der Mitarbeiter zu stärken, zum Beispiel durch Stressbewältigungstrainings, Zeitmanagement-Kurse oder Resilienz-Coachings. Diese Maßnahmen sind nützlich, aber sie behandeln nur die Symptome, nicht die Ursachen.

Die Verhältnisprävention hingegen setzt an der Wurzel des Problems an: den Arbeitsbedingungen selbst. Sie fragt nicht: „Wie machen wir den Mitarbeiter stressresistenter?“, sondern: „Wie gestalten wir die Arbeit so, dass sie weniger Stress erzeugt?“ Hier geht es um die Optimierung von Arbeitsabläufen, die Gestaltung von Arbeitsplätzen, die Verbesserung der Führungskultur und die Klärung von Rollen und Verantwortlichkeiten. Laut Arbeitsschutzgesetz hat die Verhältnisprävention immer Vorrang. Experten schätzen das Wirksamkeitspotenzial wie folgt ein: 70% des Erfolgs liegen in der Veränderung der Verhältnisse, nur 30% in der Veränderung des Verhaltens.

Ein Unternehmen, das ausschließlich auf Verhaltensprävention setzt, sendet unbewusst eine problematische Botschaft: „Die Arbeit ist stressig, aber das ist dein Problem. Lerne, damit umzugehen.“ Ein systemischer Ansatz, der die Verhältnisse in den Mittelpunkt stellt, signalisiert hingegen Wertschätzung und Fürsorge: „Wir sehen, dass die Arbeitsbedingungen belastend sind, und wir übernehmen die Verantwortung, sie zu verbessern.“

Die folgende Tabelle verdeutlicht die zentralen Unterschiede und zeigt, warum eine nachhaltige Strategie immer bei den Arbeitsverhältnissen ansetzen muss, wie eine vergleichende Analyse von Haufe unterstreicht.

Verhältnisprävention vs. Verhaltensprävention: Ein strategischer Vergleich
Aspekt Verhältnisprävention (70% Wirkung) Verhaltensprävention (30% Wirkung)
Fokus Arbeitsumgebung, Organisation, Prozesse Individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen
Maßnahmen Ergonomische Arbeitsplätze, flexible Arbeitszeiten, klare Kommunikationsstrukturen Stressbewältigungstrainings, Coaching, Resilienzförderung
Verantwortung Arbeitgeber (gesetzlich vorgeschrieben) Gemeinsame Verantwortung
Nachhaltigkeit Langfristige systemische Wirkung Ergänzende individuelle Unterstützung

Die Delegations-Falle: Warum Resilienz-Kurse allein Ihr Burnout-Problem nicht lösen

Resilienz-Kurse und Achtsamkeits-Workshops sind in der Unternehmenswelt allgegenwärtig und werden oft als Allheilmittel gegen Stress und Burnout beworben. Doch dieser Fokus auf die individuelle Stärke birgt eine erhebliche Gefahr: die „Delegations-Falle“. Unternehmen, die ausschließlich auf solche Maßnahmen setzen, delegieren unbewusst die Verantwortung für ein organisationales Problem zurück an den einzelnen Mitarbeiter. Die Botschaft lautet implizit: Nicht die überbordende Arbeitslast, die unklaren Erwartungen oder die mangelnde Unterstützung sind das Problem, sondern deine Unfähigkeit, damit umzugehen.

Dieser Ansatz ist aus mehreren Gründen problematisch. Erstens ignoriert er die systemischen Ursachen von Stress. Ein Mitarbeiter kann noch so resilient sein – wenn er permanent unterbrochen wird, widersprüchliche Anweisungen erhält und keine Wertschätzung erfährt, wird er früher oder später ausbrennen. Zweitens kann es zynisch wirken und das Vertrauen der Mitarbeiter untergraben. Wenn ein Unternehmen offensichtliche Mängel in der Arbeitsorganisation nicht behebt, aber gleichzeitig Resilienz-Training anbietet, fühlen sich Mitarbeiter oft nicht ernst genommen.

Drittens führt es zu einer kurzfristigen Symptombekämpfung ohne nachhaltige Wirkung. Die im Kurs erlernten Techniken verpuffen schnell, wenn der Mitarbeiter in ein unverändert toxisches oder überforderndes Arbeitsumfeld zurückkehrt. Verhaltensprävention ist nicht nutzlos – sie kann eine wertvolle Ergänzung sein, um Mitarbeiter im Umgang mit unvermeidbarem Stress zu unterstützen. Aber sie darf niemals der erste oder einzige Schritt sein. Sie muss auf einem soliden Fundament gesunder Arbeitsbedingungen (Verhältnisprävention) aufbauen. Ansonsten investieren Sie in ein Pflaster, während die Wunde darunter weiter schwärt.

Wann Sie Burnout-Prävention intern stemmen können – und wann Sie externe Experten brauchen

Die Entscheidung, ob die Burnout-Prävention und die Durchführung der GBU Psyche intern oder mit externer Unterstützung erfolgen soll, hängt von mehreren Faktoren ab. Es gibt keine pauschale Antwort; eine ehrliche Bewertung der eigenen Ressourcen und Kompetenzen ist entscheidend. Grundsätzlich gilt: Ein gewisses Maß an interner Beteiligung ist immer notwendig, denn niemand kennt die spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens besser als die eigenen Mitarbeiter und Führungskräfte.

Ein interner Ansatz ist dann sinnvoll, wenn im Unternehmen bereits ausgebildete Fachkräfte vorhanden sind, beispielsweise Arbeitspsychologen, erfahrene HR-Experten für Organisationsentwicklung oder speziell geschulte Fachkräfte für Arbeitssicherheit. In kleineren Unternehmen mit einer offenen und vertrauensvollen Kultur kann ein interner Prozess ebenfalls gut funktionieren, solange die nötige Neutralität und Fachkompetenz gewährleistet sind. Der Vorteil liegt in den geringeren direkten Kosten und der tiefen Kenntnis der internen Abläufe.

Externe Experten sollten hinzugezogen werden, wenn:

  • Fachwissen fehlt: Es gibt keine internen Experten, die den Prozess methodisch sauber und rechtssicher steuern können.
  • Betriebsblindheit herrscht: Ein Blick von außen kann festgefahrene Strukturen und unbewusste Belastungsfaktoren aufdecken, die intern nicht mehr wahrgenommen werden.
  • Vertrauen fehlt: In konfliktbeladenen Situationen oder bei mangelndem Vertrauen zwischen Belegschaft und Management kann ein neutraler Moderator die Akzeptanz des Prozesses und die Offenheit der Mitarbeiter erheblich steigern.
  • Ressourcen knapp sind: Obwohl externe Beratung Kosten verursacht, kann sie interne Personalressourcen entlasten, die für das Kerngeschäft benötigt werden.

Oft ist ein hybrider Ansatz der Königsweg: Externe Experten steuern den Prozess methodisch und moderieren die entscheidenden Workshops, während ein internes Projektteam die Organisation übernimmt und die Nachhaltigkeit der Maßnahmen sicherstellt.

Warum 6 von 10 Depressionen verhindert werden könnten – wenn diese Maßnahmen ergriffen würden

Die Diskussion um Burnout-Prävention darf nicht isoliert betrachtet werden. Chronischer Arbeitsstress und ein Gefühl der Ausweglosigkeit sind nicht nur die Haupttreiber für Burnout, sondern auch signifikante Risikofaktoren für die Entwicklung schwerwiegenderer psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont seit Jahren den engen Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und psychischer Gesundheit. Die gute Nachricht ist: Ein großer Teil dieser Erkrankungen wäre vermeidbar.

Wenn Unternehmen die im Arbeitsschutzgesetz verankerten Prinzipien der Verhältnisprävention konsequent umsetzen, leisten sie einen direkten Beitrag zur Primärprävention von psychischen Erkrankungen. Schätzungen aus der Forschung legen nahe, dass bis zu 60% der arbeitsbedingten Depressionen durch die Reduzierung von psychosozialen Risikofaktoren am Arbeitsplatz verhindert werden könnten. Diese Risikofaktoren sind genau jene, die eine sorgfältige GBU Psyche aufdeckt: hohe Arbeitsintensität, geringe Einflussmöglichkeiten, mangelnde soziale Unterstützung, unfaire Behandlung und Rollenkonflikte.

Die Maßnahmen, die Burnout verhindern, sind also dieselben, die auch das Risiko für Depressionen senken. Eine wertschätzende Führungskultur, die den Mitarbeitern Autonomie und Anerkennung gewährt, ist ein Puffer gegen Stress. Klare, transparente Kommunikation reduziert Unsicherheit und Angst. Eine faire Arbeitslast und die Möglichkeit, die eigene Arbeit mitzugestalten, fördern das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit. Indem Sie also aktiv daran arbeiten, Ihr Unternehmen zu einem psychisch gesunden Arbeitsplatz zu machen, schützen Sie nicht nur Ihre Mitarbeiter vor Burnout, sondern stärken deren psychische Gesundheit auf ganzer Linie. Dies ist nicht nur eine soziale Verantwortung, sondern sichert langfristig die Leistungsfähigkeit Ihrer gesamten Organisation.

Wie Sie die 10 Gesundheitsdimensionen Ihres Arbeitsplatzes bewerten und verbessern

Um die Verhältnisprävention greifbar zu machen, müssen Sie wissen, wo Sie ansetzen sollen. Die GBU Psyche ist der Prozess, aber was sind die konkreten Inhalte? Die Arbeitspsychologie hat verschiedene Dimensionen identifiziert, die die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz maßgeblich beeinflussen. Eine systematische Bewertung dieser Bereiche gibt Ihnen eine klare Landkarte der Stärken und Schwächen Ihrer Organisation. Konzentrieren Sie Ihre Analyse auf die folgenden zehn zentralen Gesundheitsdimensionen:

  1. Arbeitsintensität und -menge: Ist die Arbeitslast dauerhaft zu hoch? Gibt es unrealistische Deadlines?
  2. Autonomie und Handlungsspielraum: Können Mitarbeiter ihre Arbeit und ihre Vorgehensweisen mitgestalten?
  3. Soziale Unterstützung: Gibt es einen starken Zusammenhalt im Team? Bieten Kollegen und Vorgesetzte bei Bedarf Hilfe an?
  4. Führungsqualität: Ist das Führungsverhalten wertschätzend, transparent und unterstützend? Geben Führungskräfte klares Feedback?
  5. Rollenklarheit und -konflikte: Weiß jeder Mitarbeiter genau, was von ihm erwartet wird? Gibt es widersprüchliche Anweisungen?
  6. Anerkennung und Wertschätzung: Wird gute Arbeit gesehen und gewürdigt (sowohl materiell als auch immateriell)?
  7. Entwicklungsmöglichkeiten: Gibt es Perspektiven zur fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung im Unternehmen?
  8. Sinnhaftigkeit der Arbeit: Verstehen die Mitarbeiter den Beitrag ihrer Arbeit zum Gesamterfolg des Unternehmens?
  9. Gerechtigkeit und Fairness: Werden Entscheidungen (z.B. über Beförderungen, Ressourcenverteilung) als fair und transparent wahrgenommen?
  10. Physische und organisatorische Umgebung: Stören Lärm, ständige Unterbrechungen oder mangelhafte Arbeitsmittel die Konzentration?

Nutzen Sie diese zehn Dimensionen als Raster für Ihre Fragebögen oder als Leitfaden für Ihre Gesundheitszirkel. Die Ergebnisse zeigen Ihnen genau, in welchen Bereichen der größte Handlungsbedarf besteht, und ermöglichen es Ihnen, gezielte und wirksame Maßnahmen zu entwickeln, anstatt mit der Gießkanne unspezifische Trainings anzubieten.

Das Wichtigste in Kürze

  • Gesetzliche Pflicht nutzen: Die GBU Psyche ist kein bürokratisches Übel, sondern Ihr wichtigstes strategisches Werkzeug zur Reduzierung von Burnout.
  • System vor Individuum: Konzentrieren Sie 70% Ihrer Ressourcen auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Verhältnisprävention) und nur 30% auf individuelle Trainings.
  • Führung ist entscheidend: Eine wertschätzende, klare und unterstützende Führungskultur ist der stärkste Schutzfaktor gegen psychische Belastungen.

Wie Sie durch 8 organisatorische Eingriffe die psychische Belastung Ihrer Belegschaft halbieren

Die Analyse der Gesundheitsdimensionen ist der erste Schritt, die Umsetzung konkreter Maßnahmen der entscheidende zweite. Nachdem Sie die spezifischen Belastungsfaktoren in Ihrem Unternehmen identifiziert haben, geht es darum, wirksame organisatorische Eingriffe zu definieren. Statt auf isolierte Einzelaktionen zu setzen, sollten Sie ein Bündel von Maßnahmen schnüren, die systemisch wirken. Die folgenden acht Interventionen haben sich in der Praxis als besonders wirksam erwiesen, um psychische Belastungen signifikant zu reduzieren und das Wohlbefinden zu steigern.

Diese Maßnahmen zielen direkt auf die Veränderung der Arbeitsverhältnisse ab und bilden das Herzstück einer jeden nachhaltigen Präventionsstrategie:

  • 1. Führungskräfte in gesundheitsorientierter Führung schulen: Vermitteln Sie Ihren Führungskräften, wie sie Stresssignale erkennen, wertschätzend kommunizieren und ihre Teams aktiv unterstützen können.
  • 2. Arbeitsabläufe optimieren: Analysieren und reduzieren Sie systematisch Störungen, unnötige Meetings und administrative Hürden, die den Arbeitsfluss unterbrechen.
  • 3. Handlungsspielräume gezielt erweitern: Geben Sie Mitarbeitern mehr Autonomie bei der Gestaltung ihrer Aufgaben und Arbeitszeiten, wo immer dies möglich ist (z.B. durch flexible Arbeitszeitmodelle).
  • 4. Transparente Kommunikationskanäle etablieren: Sorgen Sie für einen regelmäßigen und klaren Informationsfluss über Unternehmensziele und anstehende Veränderungen, um Unsicherheit zu reduzieren.
  • 5. Eine konstruktive Feedback- und Fehlerkultur schaffen: Etablieren Sie regelmäßige, wertschätzende Feedbackgespräche und fördern Sie einen Umgang mit Fehlern, der auf Lernen statt auf Schuldzuweisung basiert.
  • 6. Soziale Unterstützung im Team stärken: Fördern Sie den kollegialen Zusammenhalt durch regelmäßige Teambesprechungen (nicht nur zu Sachthemen) und gemeinsame Aktivitäten.
  • 7. Rollen und Verantwortlichkeiten klar definieren: Stellen Sie sicher, dass jeder Mitarbeiter seine genauen Aufgaben und Kompetenzen kennt, um Rollenkonflikte und unklare Erwartungen zu vermeiden.
  • 8. Anerkennung institutionalisieren: Schaffen Sie sichtbare Rituale der Wertschätzung für gute Leistungen, die über die rein finanzielle Vergütung hinausgehen.

Die Kombination dieser Eingriffe schafft ein Arbeitsumfeld, in dem Mitarbeiter nicht nur produktiver, sondern auch gesünder und zufriedener sind. Beginnen Sie mit den zwei oder drei Maßnahmen, die den größten Hebel in Ihrer spezifischen Situation versprechen.

Die Umsetzung einer systemischen Burnout-Prävention ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es erfordert ein klares Bekenntnis der Unternehmensleitung und die Bereitschaft, etablierte Prozesse und Verhaltensweisen kritisch zu hinterfragen. Beginnen Sie noch heute damit, die GBU Psyche nicht als Last, sondern als Chance zu begreifen, und legen Sie den Grundstein für eine gesunde und leistungsfähige Organisation der Zukunft. Ein erster Schritt kann eine fundierte Analyse Ihrer aktuellen Situation durch interne oder externe Experten sein.

Sabine Hoffmann, Diplom-Psychologin und Arbeitspsychologin seit 16 Jahren, zertifizierte Fachkraft für Betriebliches Gesundheitsmanagement, aktuell als interne Beraterin in einem DAX-Konzern und externe BGM-Beraterin tätig.