
Die Grundlage für ein psychisch gesundes Familienleben ist nicht das Befolgen starrer Ratschläge, sondern das bewusste Gestalten einer stabilen und zugleich flexiblen emotionalen Architektur.
- Der autoritative Erziehungsstil, der klare Grenzen mit emotionaler Wärme kombiniert, hat nachweislich die besten Ergebnisse für die psychische Gesundheit von Kindern.
- Emotionale Überbehütung schwächt Kinder, indem sie ihnen die Möglichkeit nimmt, Frustrationstoleranz und Selbstständigkeit zu entwickeln.
- Die Qualität weniger, aber tiefer sozialer Bindungen ist für die psychische Stabilität weitaus wichtiger als eine große Anzahl oberflächlicher Kontakte.
Empfehlung: Bauen Sie ein „flexibles Gerüst“ aus Regeln und Unterstützung, das Ihrem Kind Sicherheit gibt, ohne seine persönliche Entwicklung einzuschränken.
In einer immer komplexeren und anspruchsvolleren Welt wird die Familie für viele zum wichtigsten Rückzugsort – ein sicherer Hafen, der Schutz und Geborgenheit verspricht. Doch dieser Hafen entsteht nicht von allein. Viele Eltern und Partner in Deutschland fühlen den Druck, ein perfektes Familienleben gestalten zu müssen, und greifen dabei auf altbekannte Ratschläge zurück: offener kommunizieren, mehr Zeit miteinander verbringen, klare Regeln aufstellen. Diese Tipps sind zwar gut gemeint, bleiben aber oft an der Oberfläche und führen nicht selten zu Frustration, wenn die erhoffte Harmonie ausbleibt.
Das Problem liegt oft darin, dass diese Ratschläge als isolierte Maßnahmen betrachtet werden. Doch was wäre, wenn der Schlüssel nicht in einzelnen Handlungen liegt, sondern im Verständnis der Familie als ein lebendiges Beziehungssystem? Ein System, in dem jedes Mitglied, jede Interaktion und jede Regel Teil einer unsichtbaren emotionalen Architektur ist. Wenn diese Architektur stabil und gleichzeitig flexibel ist, bietet sie jedem den nötigen Halt und den Raum zur Entfaltung. Ein Ungleichgewicht hingegen kann das gesamte System belasten und die psychische Gesundheit aller Mitglieder gefährden.
Dieser Artikel verlässt daher den Pfad der oberflächlichen Tipps. Stattdessen nehmen wir die Perspektive eines Familientherapeuten ein, um die Dynamiken zu beleuchten, die ein Zuhause wirklich zu einem Ort machen, an dem alle aufblühen können. Wir werden die wissenschaftlich fundiertesten Erziehungsstile analysieren, die Fallen der Überbehütung aufdecken und einen konkreten Plan zur Stärkung der psychologischen Widerstandsfähigkeit Ihrer Kinder vorstellen. Es geht darum, die unsichtbaren Strukturen Ihres Familienlebens zu verstehen und bewusst zu gestalten, um einen nachhaltig gesunden Nährboden für alle zu schaffen.
Für all jene, die sich visuell inspirieren lassen möchten, gibt der folgende Film einen Einblick, wie Präventionsarbeit und die Stärkung von Gesundheitsressourcen in Deutschland – wie hier in Hamburg – konkret gefördert und ausgezeichnet werden.
Um Ihnen eine klare Orientierung zu geben, wie Sie die emotionale Architektur Ihrer Familie gezielt stärken können, gliedert sich dieser Artikel in mehrere praxisnahe Bereiche. Der folgende Inhalt führt Sie schrittweise durch die wichtigsten Erkenntnisse und Handlungsfelder.
Inhalt: Wie Sie ein stabiles und förderliches Familienleben gestalten
- Warum Kinder aus unterstützenden Familien ein halb so hohes Risiko für psychische Störungen haben
- Wie Sie durch 10 Prinzipien ein Familienleben schaffen, in dem alle aufblühen
- Streng vs. laissez-faire vs. autoritativ: Welcher Erziehungsstil nachweislich die gesündesten Kinder hervorbringt
- Die Überschutz-Falle: Warum emotionale Watte Ihre Kinder psychisch schwächer macht
- Wann Sie familiäre Probleme selbst lösen können – und wann Sie eine Familientherapie brauchen
- Wie Sie die Frustrationstoleranz Ihres Kindes in 5 Alltagssituationen trainieren
- 500 Facebook-Freunde vs. 3 echte Vertraute: Was Ihre Psyche wirklich braucht
- Wie Sie Ihr Kind zu einem selbstbewussten Menschen erziehen, der Krisen meistert: Der Resilienz-Erziehungsplan
Warum Kinder aus unterstützenden Familien ein halb so hohes Risiko für psychische Störungen haben
Ein unterstützendes Familienklima ist mehr als nur eine angenehme Atmosphäre – es ist ein messbarer Schutzschild für die psychische Gesundheit. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich die enorme Bedeutung dieses familiären Rückhalts. So belegt die aktuelle COPSY-Längsschnittstudie des UKE Hamburg, dass sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu Beginn der Pandemie im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verschlechterte. Doch die Studie zeigt auch, welche Faktoren Kinder widerstandsfähiger machen.
Ein solches unterstützendes Umfeld definiert sich nicht durch die Abwesenheit von Konflikten, sondern durch die Art und Weise, wie die Familie als System funktioniert. Es sind vor allem drei Faktoren, die als Puffer gegen psychische Belastungen wirken: Ein starker familiärer Zusammenhalt, ein hohes Maß an emotionaler Unterstützung und Wärme sowie klare, aber flexible Alltagsstrukturen. Wenn Kinder spüren, dass sie Teil eines verlässlichen und liebevollen Systems sind, entwickeln sie eine optimistischere Grundeinstellung, die ihre Lebensqualität signifikant erhöht.
Gemeinsam verbrachte Zeit ist dabei ein entscheidender Baustein. Es geht jedoch weniger um aufwendige Events als um die alltägliche Präsenz und das Gefühl, gehört und verstanden zu werden. Diese Interaktionen bauen das systemische Gleichgewicht der Familie auf, in dem jedes Mitglied seinen Platz kennt und sich sicher fühlt. Diese Sicherheit ist die Basis, von der aus Kinder die Welt erkunden und die unvermeidlichen Herausforderungen des Lebens bewältigen können, ohne dass ihr psychisches Wohlbefinden dauerhaft Schaden nimmt.
Wie Sie durch 10 Prinzipien ein Familienleben schaffen, in dem alle aufblühen
Die Fähigkeit einer Familie, als stabiles System zu fungieren, ist keine Frage des Zufalls. Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der COPSY-Studie, bringt es auf den Punkt:
Wer vor der Pandemie gut dastand, Strukturen erlernt hat und sich in seiner Familie wohl und gut aufgehoben fühlt, wird auch gut durch die Pandemie kommen.
– Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, UKE Pressemitteilung zur COPSY-Studie
Ein solches Fundament zu bauen, folgt Prinzipien, die weit über starre Regeln hinausgehen. Es geht darum, eine Kultur des Miteinanders zu etablieren, in der sich jedes Mitglied gesehen und wertgeschätzt fühlt. Die „10 Prinzipien“ sind weniger eine Checkliste als vielmehr eine Haltung, die sich in alltäglichen Handlungen widerspiegelt. Dazu gehören eine offene Fehlerkultur, das gemeinsame Feiern von Erfolgen, aber auch das gemeinsame Aushalten von schwierigen Phasen. Dies schafft einen sicheren Entwicklungsraum für alle.

Ein zentraler Aspekt ist die Vorhersehbarkeit durch Rituale, sei es das gemeinsame Abendessen, die Gute-Nacht-Geschichte oder der wöchentliche Spieleabend. Diese Fixpunkte im Alltag schaffen eine verlässliche Struktur, die gerade in unsicheren Zeiten Halt gibt. Gleichzeitig ist es essenziell, dass dieses System flexibel bleibt und auf die individuellen Bedürfnisse und Entwicklungsphasen der Kinder eingeht. Es geht darum, das Beziehungssystem bewusst zu gestalten, indem man als Elternteil sowohl Kapitän als auch Leuchtturm ist – Richtung vorgeben, aber auch sicher durch Stürme navigieren.
Streng vs. laissez-faire vs. autoritativ: Welcher Erziehungsstil nachweislich die gesündesten Kinder hervorbringt
Die Frage nach dem „richtigen“ Erziehungsstil beschäftigt Generationen von Eltern. Während extreme Ansätze wie der autoritäre Stil (strenge Kontrolle, wenig Wärme) oder der Laissez-faire-Stil (kaum Regeln, wenig Führung) oft zu Problemen wie geringer Selbstachtung oder Orientierungslosigkeit führen, hat sich in der psychologischen Forschung ein Modell als besonders förderlich herauskristallisiert: der autoritative Erziehungsstil. Dieser Stil kombiniert hohe, klare Erwartungen und feste Grenzen mit einem hohen Maß an emotionaler Wärme, Zuwendung und Kommunikation.
Eltern, die autoritativ erziehen, setzen Regeln nicht willkürlich durch, sondern erklären deren Sinn und sind bereit, sie bei Bedarf altersgerecht anzupassen. Sie ermutigen zur Selbstständigkeit, bieten aber gleichzeitig ein stabiles Sicherheitsnetz. Der entscheidende Unterschied zu einem streng autoritären Stil liegt in der Beziehungsqualität: Das Kind spürt, dass die Regeln aus Liebe und Sorge aufgestellt werden, nicht aus einem reinen Machtanspruch. Die folgende Übersicht verdeutlicht die zentralen Unterschiede und deren Konsequenzen, wie sie auch eine aktuelle Analyse von Erziehungsmodellen darlegt.
| Erziehungsstil | Merkmale | Auswirkungen auf Kinder |
|---|---|---|
| Autoritär | Hohe Kontrolle, wenig Wärme | Geringere Selbstachtung und Verhaltensprobleme |
| Laissez-faire | Wenig Kontrolle, wenig Struktur | Orientierungslosigkeit, Unsicherheit |
| Autoritativ | Hohe Kontrolle UND hohe Wärme | Höheres psychologisches Wohlbefinden und bessere soziale Kompetenz |
| Permissiv | Wenig Kontrolle, hohe Wärme | Schwierigkeiten mit Grenzen und Selbstregulation |
Die positiven Auswirkungen des autoritativen Stils sind wissenschaftlich gut belegt. Kinder, die in einem solchen Umfeld aufwachsen, zeigen nicht nur eine höhere soziale Kompetenz und ein stärkeres Selbstwertgefühl, sondern sind auch psychisch stabiler. Sie lernen, dass ihre Meinung zählt, aber auch, dass Regeln für ein funktionierendes Zusammenleben notwendig sind. Dieser Ansatz schafft ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Verantwortung und legt damit den Grundstein für ein gesundes, selbstbestimmtes Leben.
Die Überschutz-Falle: Warum emotionale Watte Ihre Kinder psychisch schwächer macht
Aus Sorge und Liebe neigen viele Eltern dazu, ihre Kinder vor allen denkbaren Enttäuschungen, Frustrationen und Schwierigkeiten bewahren zu wollen. Dieser als „Helikopter-Eltern“ bekannte Stil packt Kinder in emotionale Watte, nimmt ihnen Entscheidungen ab und ebnet jeden Weg. Doch was gut gemeint ist, kann sich langfristig negativ auswirken. Psychologisch betrachtet, beraubt diese Überbehütung Kinder der Chance, eine der wichtigsten Fähigkeiten für ein gesundes Leben zu entwickeln: Frustrationstoleranz und Resilienz.
Fallbeispiel: Die Auswirkungen von wenig Entfaltungsraum
Beobachtungen aus der Praxis zeigen, dass Kinder, denen durch übermäßig strenge Regeln oder ständige Bevormundung wenig Raum zur Entfaltung gegeben wird, oft Schwierigkeiten haben, eigene Erfahrungen zu sammeln und eine authentische Persönlichkeit auszubilden. Wenn Fehler konsequent vermieden werden, fehlt die Lernerfahrung, wie man mit ihnen umgeht. Dies kann sich direkt negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken, da das Kind die Botschaft verinnerlicht: „Ich kann es nicht allein.“
Die Alternative zur Überbehütung ist nicht Vernachlässigung, sondern das „Gerüst-Prinzip“. Stellen Sie sich vor, Sie bauen ein Gerüst um eine wachsende Pflanze. Es gibt Halt und Richtung, engt die Pflanze aber nicht ein und lässt ihr Raum, sich eigenständig zum Licht zu strecken. Übertragen auf die Erziehung bedeutet das: Sie bieten eine stabile Struktur aus Regeln und emotionaler Unterstützung, aber Sie lassen Ihr Kind altersgerechte Fehler machen, Konflikte selbst lösen und die Konsequenzen des eigenen Handelns erfahren. Sie sind das Sicherheitsnetz, das auffängt, wenn der Sturz zu tief wäre, aber nicht die Person, die jeden Stolperstein aus dem Weg räumt.
Ihr Aktionsplan: Das „Gerüst-Prinzip“ statt emotionaler Watte
- Erklären Sie liebevoll die Gründe für Regeln, statt sie nur autoritär durchzusetzen.
- Bestärken Sie Ihre Kinder darin, eigene Entscheidungen zu treffen und geben Sie ihnen so oft es geht Wahlmöglichkeiten.
- Lassen Sie altersgerechte Fehler zu und nutzen Sie diese gemeinsam als wertvolle Lernchancen, statt sie zu bestrafen.
- Unterstützen Sie, ohne zu übernehmen: Fungieren Sie als „Sicherheitsnetz“, das im Hintergrund da ist, aber dem Kind den Vortritt lässt.
- Bleiben Sie stets flexibel, um die Regeln und Strukturen an die jeweilige Situation und den Entwicklungsstand Ihres Kindes anpassen zu können.
Wann Sie familiäre Probleme selbst lösen können – und wann Sie eine Familientherapie brauchen
Jede Familie durchlebt Phasen von Stress, Konflikten und Unsicherheit. Das ist ein normaler Teil des Zusammenlebens. Viele dieser Herausforderungen, wie Meinungsverschiedenheiten über Regeln oder vorübergehende Stimmungsschwankungen, können und sollten innerhalb der Familie gelöst werden. Offene Gespräche, Kompromissbereitschaft und die Rückbesinnung auf gemeinsame Werte sind oft ausreichend, um das systemische Gleichgewicht wiederherzustellen.

Es gibt jedoch Situationen, in denen die Probleme so festgefahren sind, dass die Familie sie aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen kann. Dies ist oft der Fall, wenn die Kommunikationsmuster destruktiv geworden sind, ein Mitglied deutliche psychische Symptome zeigt (z.B. sozialer Rückzug, anhaltende Traurigkeit, Aggressivität) oder wenn ein Ereignis wie eine Trennung, ein Todesfall oder eine schwere Krankheit das gesamte Familiensystem erschüttert. Ein weiteres Warnsignal ist, wenn sich die Konflikte immer um dasselbe Thema drehen und keine Lösung in Sicht ist, was oft als „Symptomträger“ bezeichnet wird – eine Person trägt unbewusst die Spannung des gesamten Systems aus.
In solchen Fällen ist eine Familientherapie keine Bankrotterklärung, sondern ein mutiger und verantwortungsvoller Schritt. Ein externer, neutraler Therapeut kann helfen, die festgefahrenen Muster zu erkennen und aufzubrechen. Er agiert als eine Art Übersetzer, der die Perspektiven der einzelnen Mitglieder für die anderen verständlich macht. Ziel ist es nicht, einen Schuldigen zu finden, sondern das Beziehungssystem als Ganzes so zu verändern, dass eine gesündere Interaktion wieder möglich wird und jedes Mitglied seinen Platz findet.
Wie Sie die Frustrationstoleranz Ihres Kindes in 5 Alltagssituationen trainieren
Frustrationstoleranz ist wie ein Muskel: Sie wird stärker, je öfter sie trainiert wird. Anstatt Kinder vor jeglichem Frust zu bewahren, ist es eine zentrale Erziehungsaufgabe, sie dabei zu begleiten, mit Enttäuschungen und Rückschlägen umgehen zu lernen. Der deutsche Alltag bietet dafür unzählige, oft übersehene Trainingsmöglichkeiten. Es geht darum, diese Momente nicht als Krisen, sondern als Lernchancen zu begreifen.
Der Schlüssel liegt darin, die Gefühle des Kindes anzuerkennen, anstatt sie klein- oder wegzureden. Ein Satz wie „Stell dich nicht so an“ ist kontraproduktiv. Viel effektiver ist es, die Emotion zu validieren und gleichzeitig einen konstruktiven Weg aufzuzeigen. Diese Herangehensweise stärkt die emotionale Kompetenz des Kindes und zeigt ihm, dass negative Gefühle erlaubt sind und bewältigt werden können. Ein gutes Beispiel für eine solche validierende Sprache ist:
Ich sehe, das ärgert dich jetzt riesig. Das kann ich gut verstehen. Lass uns mal zusammen pusten.
– Beispiel für validierende Sprache, Empfohlene Formulierung für deutsche Eltern
Nutzen Sie alltägliche Situationen, um diesen „Frustrationsmuskel“ gezielt zu stärken:
- Beim „Mensch ärgere Dich nicht“-Spiel verlieren: Begleiten Sie die Enttäuschung, anstatt das Kind gewinnen zu lassen. Feiern Sie den fairen Verlierer genauso wie den Gewinner.
- Verspätungen der Deutschen Bahn: Nutzen Sie die Wartezeit als Übung in Geduld und Gelassenheit, statt selbst in Stress zu verfallen.
- Warten in der Discounter-Schlange: Dies ist ein exzellentes Training für Impulskontrolle. Erfinden Sie kleine Spiele oder lenken Sie die Aufmerksamkeit, anstatt das Kind mit dem Smartphone ruhigzustellen.
- Niederlagen des Lieblings-Bundesligavereins: Verarbeiten Sie die Enttäuschung gemeinsam und zeigen Sie, dass das Leben weitergeht und die Loyalität zum Verein bleibt.
- Bei Regeländerungen das Kind einbeziehen: Wenn Kinder gute Argumente liefern, können Regeln angepasst werden. Dies lehrt sie, dass Kommunikation und Kompromisse Teil des demokratischen Miteinanders sind.
500 Facebook-Freunde vs. 3 echte Vertraute: Was Ihre Psyche wirklich braucht
In einer digital vernetzten Welt wird die Anzahl sozialer Kontakte oft fälschlicherweise mit sozialer Integration gleichgesetzt. Doch für die psychische Gesundheit ist nicht die Quantität der Follower oder „Freunde“ auf Social Media entscheidend, sondern die Qualität echter, tiefergehender Beziehungen. Ein stabiles soziales Netz besteht aus Menschen, denen man vertrauen kann, bei denen man sich verletzlich zeigen darf und die in Krisenzeiten verlässlich da sind.
Die COVID-19-Pandemie hat dies auf schmerzliche Weise verdeutlicht. Die COPSY-Studie zeigt, dass bei jedem zweiten Kind das Verhältnis zu seinen Freunden durch den Mangel an physischem Kontakt gelitten hat. Virtuelle Chats und Likes können das Gefühl der Zugehörigkeit und des gemeinsamen Erlebens, das beim Sport im Verein, beim gemeinsamen Spielen oder einfach nur beim „Abhängen“ entsteht, nicht vollständig ersetzen. Diese echten Begegnungen sind der Kitt, der soziale Bindungen festigt und das Gefühl der Einsamkeit vertreibt.
Für Eltern bedeutet das, die Bedeutung von echten Freundschaften aktiv zu fördern. Schaffen Sie Gelegenheiten für reale Treffen, unterstützen Sie die Mitgliedschaft in Vereinen oder Jugendgruppen und seien Sie selbst ein Vorbild für gepflegte, tiefe Freundschaften. Es ist wichtig, Kindern zu vermitteln, dass es normal und sogar gesund ist, nur einen kleinen Kreis enger Vertrauter zu haben, anstatt einer großen Zahl oberflächlicher Bekanntschaften nachzujagen. Dieses Verständnis schützt vor dem sozialen Druck der digitalen Welt und legt den Grundstein für ein erfülltes soziales Leben.
Das Wichtigste in Kürze
- Der autoritative Erziehungsstil, der Wärme und klare Strukturen vereint, ist die wissenschaftlich fundierteste Basis für psychisch gesunde Kinder.
- Das „Gerüst-Prinzip“ – unterstützen, ohne zu übernehmen – ist der wirksamste Weg, um Selbstständigkeit und Resilienz zu fördern und die Falle der Überbehütung zu vermeiden.
- Ein stabiles Familienklima entsteht durch bewusst gestaltete Rituale, eine offene Fehlerkultur und die Qualität echter sozialer Bindungen, nicht durch die Anzahl oberflächlicher Kontakte.
Wie Sie Ihr Kind zu einem selbstbewussten Menschen erziehen, der Krisen meistert: Der Resilienz-Erziehungsplan
Alle bisher besprochenen Aspekte – ein autoritativer Erziehungsstil, das Training von Frustrationstoleranz und die Pflege echter sozialer Bindungen – münden in ein übergeordnetes Ziel: die Förderung von Resilienz. Resilienz ist die psychische Widerstandsfähigkeit, die es einem Menschen ermöglicht, Krisen, Rückschläge und Traumata zu bewältigen, ohne daran zu zerbrechen, und idealerweise sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Diese Fähigkeit ist nicht angeboren, sondern wird im Laufe des Lebens erlernt – und die Familie ist dafür das wichtigste Trainingsfeld.
Ein Resilienz-Erziehungsplan basiert nicht auf Einzelmaßnahmen, sondern auf einer grundlegenden Haltung, die sich in drei Säulen manifestiert. Diese Säulen stärken das Bedürfnis nach Selbstständigkeit und Selbstentfaltung, welches die Grundlage für psychische Widerstandsfähigkeit bildet. Studien wie die BELLA-Studie, die als Modul in der deutschen KiGGS-Studie die psychische Gesundheit von Kindern untersucht, identifizieren genau solche Schutzfaktoren.
- Eine positive Fehlerkultur etablieren: Betrachten Sie Fehler und Niederlagen nicht als Katastrophen, sondern als unverzichtbare Lernchancen. Feiern Sie den Mut, etwas Neues ausprobiert zu haben, unabhängig vom Ergebnis. Dies vermittelt die Botschaft: „Scheitern ist erlaubt und ein Teil des Weges.“
- Die Ressourcen-Brille aufsetzen: Trainieren Sie sich und Ihr Kind darin, aktiv auf Stärken, Talente und Erfolge zu schauen, anstatt sich auf Defizite zu konzentrieren. Benennen Sie diese Ressourcen klar und deutlich („Ich bewundere, wie geduldig du das Puzzle fertig gemacht hast.“). Dies baut ein starkes Selbstwertgefühl auf.
- Die soziale Verankerung fördern: Ein Kind, das weiß, dass es neben den Eltern noch andere verlässliche Ansprechpartner hat – Großeltern, Nachbarn, Trainer, Freunde –, fühlt sich sicherer. Fördern Sie dieses erweiterte Netzwerk aktiv, denn es bildet ein zusätzliches Sicherheitsnetz in Krisenzeiten.
Beginnen Sie noch heute damit, diese Prinzipien in kleinen Schritten umzusetzen. Der erste Schritt könnte ein offenes Gespräch beim Abendessen sein, um gemeinsam zu definieren, was „sicherer Hafen“ für Ihre Familie bedeutet.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Familienklima
Wann sollten Eltern professionelle Hilfe suchen?
Besonders Kinder aus Familien, die bereits durch andere Faktoren belastet sind (Risikofamilien), benötigen verlässliche Konzepte zur Stärkung ihrer seelischen Gesundheit. Ein Warnsignal ist, wenn Kinder ihre Motivation und Lernfreude verlieren. Schulen sollten hierbei eine unterstützende Rolle spielen, indem sie regelmäßig Kontakt halten und Wertschätzung entgegenbringen.
Welche Warnsignale deuten auf psychische Probleme hin?
Ein deutlicher Indikator ist eine signifikante Zunahme von psychischen Auffälligkeiten. Studien zeigten, dass das Risiko für solche Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland von rund 18 Prozent vor der Corona-Krise auf 31 Prozent während der Krise anstieg. Anhaltende Verhaltensänderungen, sozialer Rückzug oder starke Ängste sind ernst zu nehmende Signale.
Wie finde ich einen geeigneten Therapeuten in Deutschland?
Die erste Anlaufstelle ist in der Regel der Kinderarzt oder der Hausarzt. Diese können eine erste Einschätzung geben und bei Bedarf eine Überweisung an Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder an Psychotherapeuten ausstellen. Eine gezielte Suche nach Therapeuten mit Kassenzulassung ist über die Webseiten der Kassenärztlichen Vereinigungen (z.B. über kv.de) oder spezialisierte Portale wie therapie.de möglich.